Und: Wo es in Zentralamerika „Kinder“ gibt, das Wort aber etwas anderes bedeutet

Man merkt, dass man nicht mehr zu den ganz Jungen gehört, wenn nach Mitternacht nur mehr ein Möbelhaus zum Geburtstag gratuliert, welches zwei Gewürze verschenken will. Zum Geburtstag untertags wurde dann doch gratuliert. In Kurznachrichtenform vor allem. Die Besonderheit des Chats, und somit unseres derzeit meist gewählten Kommunikationsmittels, ist die Verschriftlichung des Mündlichen. Bei der verschriftlichten Mündlichkeit gelten eigene und wenige Regeln. Nicht immer zur Freude aller Beteiligten werden jetzt immer mehr Handy-Nachrichtendienste für Berufliches verwendet. Deshalb ist die legere Schreibweise mit vielen Abkürzungen, à la gg, :-), hdl, und Kleinschrift wieder zurückgegangen und hat ganzen Sätzen, Großschreibung und sogar Interpunktion Platz gemacht. Nach dem Motto: Man schreibt ja sonst nicht. Einige wenige sind an Emoji-Reihen und unmotivierten GIFs hängengeblieben. Sie haben den Absprung leider nicht geschafft.

In Frankreich wurde diese Art, verkürzt und verdreht per SMS und online zu schreiben so stark gelebt, dass Chatnachrichten einiger junger Französinnen und Franzosen aus Paris beinahe zu einer Geheimsprache und damit Thema diverser Studien wurden. Jugendsprache soll abgrenzen und Identität stiften. Sie ist jedoch blitzschnell und bis linguistische Abhandlungen geschrieben werden oder einzelne Wörter im Kabarett aufgegriffen werden, hat sie sich schon wieder verändert. „Lehrpersonen“ (statt Lehrroboter? Ich finde diese Bezeichnung unschön.) können ein Lied davon singen. Dazu kommt das Beobachter-Paradoxon in der Sprachwissenschaft. Sprich in etwa die Lehrerin (ich), die wie ein Huhn über die Schulter schaut, um den Text Zeyneps zu    kontrollieren, die sich dann doch nicht, wie sonst, mit demselben Repertoire an Wörtern mit Mathilde zu tratschen traut.

Jugendsprache ist blitzschnell

Schnell ist Sprache auch deshalb, weil unsere sich ständig verändernde Außenwelt mit ihrer Hilfe beschrieben wird. Das wurde während der Pandemie sehr deutlich. Kürzlich machte ein Kabarettist den Scherz „NMS statt MNS“ – das Publikum hatte aber bereits wieder die Abkürzung für Mund-Nasen-Schutz vergessen. Wörter und Abkürzungen nehmen sich sozusagen selbst auch wieder zurück, wenn sie nicht mehr gebraucht werden. Es war viele Jahre lang sinnvoll, Smartphone statt Handy zu sagen, um zwischen zwei verschiedenen Produkten zu unterscheiden. Sobald es fast keine un-smarten (also depperten?) Telefone mehr gibt, sagen wir wieder Handy zu allen Mobiltelefonen oder ergänzen „ein altes/altmodisches Handy“ zur Unterscheidung. Sprache wählt tendenziell den pragmatischen Weg der Einfachheit.

Witzig klingt in diesem Zusammenhang auch die etablierte Kurzversion (el) kinder, Mehrzahl kinders,für Kindergarten im Spanischen in Costa Rica. Der ursprünglich im Deutschen wichtigere zweite Teil des Wortes, Garten, ging verloren. Wie auch in Panama, wo ein Lebensmittelgeschäft nach dem anderen Mini Super heißt und das Wort Markt nicht mehr vorkommt. Mini Super ist auch eine nette Größenbezeichnung.

Leider kein Teil der modernen Jugendsprache ist das „Auskochen“. Erinnert uns ein wenig an „ausrauchen“ – „Ich rauch noch schnell aus!“ Die Zigarette fertig, ist gemeint. Doch die deutschen Vorsilben, unsere Spezialität des (Sprach-)Hauses, sind äußerst vielseitig, für Lernende verwirrend und produktiv. So bedeutete „Auskochen“ umgangssprachlich das, was wir heute als „Take-away“ bezeichnen. Gasthäuser kochten „aus“, man erhielt etwas Frischgekochtes zum Mitnehmen. „Ausschenken“ ist noch geläufig. Bei „Auskochen“ wird heutzutage an „Babyflasche auskochen“, also von Keimen befreien, oder „Gemüse auskochen“, etwa zur Suppengewinnung, gedacht. Dann gibt es noch das „ausgekochte Schlitzohr“. Denkbar, wenn auch ungewöhnlich, wäre auch „Ich will nur noch kurz auskochen“, im Sinne von „fertigkochen“. Ähnlich verwenden wir „aufessen“ – „Isst du das noch auf?“ Das wird meistens gefragt, wenn sich der Fragende die Knödel oder Gyoza einverleiben möchte. Dialektal wird es zu „zsammessen“. „Iss zsamm!“ fühlt sich bereits anders an. Im Augarten und Prater hörten Kinder auf dem Spielplatz auch immer wieder die Drohung „Ich hau‘ dich zsamm!“. Die lieben Kleinen heutzutage sagen das wahrscheinlich noch genauso oft und filmen es noch dazu – aber auf Hochdeutsch. So erzählte im Fernsehinterview auch der junge Schauspieler des Films Rickerl, nicht alles zu verstehen, was Voodoo Jürgens in seiner Rolle im Dialekt zu ihm sagte. Der allergrößte Teil der Eltern aus Wien und Umgebung sprechen seit den 80er Jahren mit den Kindern nicht mehr im Dialekt.

Apropos Vorsilben: Die Trainerin hieß früher noch Vorturnerin. Man denke an die Videokassetten und Fernsehprogramme, bei denen vorgeturnt wird und die Zuseher dann das Ganze bestmöglich nachturnen. Bis es sich schließlich ausgeturnt hat.

Wie im Sportunterricht der 80er-Jahre, bei dem nicht alle mitturnen wollten, könnte man für bestimmte Vergehen zur Strafe „Liegestütze – bis du weinst“ einführen. Ich plädiere dafür bei jedem Mal „tatsächlich“, gesagt oder geschrieben. In fact mag ja praktisch sein, um im Englischen einen Satz einzuleiten. Doch nicht einmal im 17. Jahrhundert wurde wortwörtlich übersetzt. „Tatsächlich“ nimmt überhand und wird den Möglichkeiten des Deutschen bei Weitem nicht gerecht. Auf etwas zuvor Geschriebenes verweisen wir in diesem Fall anders, und zwar auf so viele interessante und unterschiedliche Arten, wie „wirklich“, „und zwar“, „sage und schreibe“, „genau genommen“, „in Wahrheit“, „in Wirklichkeit“, „eigentlich“, „viel mehr“, „ehrlich gesagt“ usw., je nach sprachlichem Kontext und Inhalt.  Mein betreuender Professor strich mir übrigens auch „Fakt ist“ bei meiner Abschlussarbeit an. Er hatte recht – was ist schon Fakt? Infatti, könnte man mir jetzt in Italien beipflichten.

Uroma oder die ur Oma?

Kein solches Präfix ist das Wörtchen „ur“, oft gehört in Ostösterreich. Eine große Zeitung schrieb vor einigen Wochen online: „Ur-Oma lernt mit 97 Lesen und Schreiben.“ Ist das ein Sprachwitz? „Die ur Oma!“ Oder unbeabsichtigt falsch mit Bindestrich geschrieben? Man kann ja nie wissen.

Von dem vielen Gerede über Sport habe ich Hunger bekommen und frage nun beim nächsten Restaurant nach, ob sie auskochen. Ich wünsche einen schönen Tag. Und: Lesen wir unsere Bücher aus.

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