Manches wird so skurril, dass wir baff sind.
Der sicherste Weg etwas nicht zu tun, ist, es vorher groß anzukündigen. Das betrifft nicht nur Diäten, Radausflüge, Rauch-, Nasch-, Trinkpausen, Öffnungsschritte, Wahlversprechen und Besserungsschwüre, sondern auch Sprachkolumnen, die sich still und leise in die Sommerpause nach Südeuropa verabschiedet haben. Man verzeihe ihr die Abwesenheit. Das Zitronenblatt hat nun Sonne getankt und ist mit neu gesammelten Zitronenwörtern, grammatikalischen Stacheln und Sprachwurzeln zurück.
Da seid ihr jetzt baff.
Erst vor wenigen Tagen las ich diesen Ausdruck wieder und bemerkte, dass ich nicht weiß, woher er kommt. Die etymologische Erklärung ist unterhaltsam und wirkt zum Glück heutzutage skurril (lateinisch scurrilis, zu: scurra = Witzbold):
baff sein
sprachlos sein
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der Ausdruck ist lautmalerischen Ursprungs und ahmt den Schuss eines Gewehres nach; schon im 17. Jh. war die Wendung baff sein eine Bezeichnung für jemanden, der dasteht, als wäre er von einem Schuss erschreckt worden.
Ich bringe auch ein echtes Beispiel, wie man es auch bei Deutschlernenden immer anbringen sollte, denn die selbstgebastelten Sätze der unauthentischen Sprachverwendung lehren keine lebende Sprache, sondern höchstens die Anwendung in Lückentexten (die es in der Realität auch nicht gibt, außer fernmündlich bei schlechter Verbindung oder bei Beziehungsenden, die aus missverständlichen WhatsApp-Chats bestehen, hier werden naturgemäß Namen, Uhrzeiten und andere Fakten ausgelassen).
Das Beispiel:
Erst war ich baff, dann bekam ich große Lust dazu. (Die Zeit, 25.06.2003, Nr. 26).
Ja. Das kennen wir.
Baff war ich auch, als eine in die Medien gekommene Online-Fitness-Trainerin aus dem 11. Bezirk sagte: „Ich zeige euch tolle Core-Übungen.“ Dieses „Core“ sprach sie Wienerisch-Englisch aus, was diesen Satz hervorbrachte: „Ich zeige euch tolle Chor-Übungen.“ Was genau ist der kommunikative Wert einer solchen Sprachmischung? Der Vorteil der deutschen Sprache ist, nein nicht, wie man annehmen müsste, ihr romantisches Ausdrucksvermögen, sondern dank Präfixverben (also ver-, um-, zu-, weg- usw.) und Zusammensetzungen: die Exaktheit, weshalb sich philosophische Texte gut auf Deutsch lesen lassen.
Englisch zeichnet sich anderwärtig aus. (Durch ein sehr großes Vokabular zum Beispiel). Ich habe ein paar Übersetzungen für die Chor-Fitness-Trainerin gesammelt.
Hardcore. Core ist nicht gleich Core:
- der Kern Pl.
- die Ader Pl.: die Adern
- das Herzstück Pl.: die Herzstücke
- das Innerste kein Pl.
- das Kerngehäuse Pl.: die Kerngehäuse
- das Kernstück Pl.: die Kernstücke
- das Mark kein Pl.
- das Kernhaus Pl.: die Kernhäuser
- das Mittelstück Pl.: die Mittelstücke
- der Schacht Pl.: die Schächte
- der Innenteil Pl.: die Innenteile
- das Innenteil Pl.: die Innenteile
- der Core [Spieltheorie]
- der Bohrkern Pl.: die Bohrkerne
- der Magnetkern Pl.: die Magnetkerne
- der Rollenkern Pl.: die Rollenkerne
- der Spulenkern Pl.: die Spulenkerne
- der Ventileinsatz Pl.: die Ventileinsätze
- die Einlage Pl.: die Einlagen
- die Hülse Pl.: die Hülsen [Papier und Zellstoff]
- der Gusskern Pl.: die Gusskerne
- die Kabelseele Pl.: die Kabelseelen
- der Eisenkern Pl.: die Eisenkerne
- das Gelege Pl.: die Gelege [Hebetechnik]
- der Grundkörper Pl.: die Grundkörper [Schleiftechnik]
- der Trägerkörper Pl.: die Trägerkörper
- die Seele Pl.: die Seelen
- der Nukleus Pl.: die Nuklei
- der Silbengipfel Pl.: die Silbengipfel
- der Silbenkern Pl.
- die Kerndichtung Pl.: die Kerndichtungen [Wasserbau]
- der Hülsen-Innendurchmesser
- der Dämmkern Pl.: die Dämmkerne
- der Dichtkern Pl.: die Dichtkerne
- der Einbruch Pl.: die Einbrüche
- die Innendichtung Pl.: die Innendichtungen
Na, wusstet ihr, dass Kabel Seelen haben?
Eine weitere Frage, die sich bei häufigen Sprachmischungen mitten im Satz auch stellt, ist: Weshalb müssen politisch korrekte Begriffe Englisch sein? Sind sie sonst weniger korrekt? Muss es Awareness-Teams, LGBTQIA und Body Positivity heißen? Schließe ich damit sprachlich nicht wiederum Menschen aus, die diesbezüglich nicht informiert sind oder kaum Englischkenntnisse besitzen?
Wenn ich sprachsensibel mit einem Thema umgehen möchte, macht es Sinn, mich darüber mit den Menschen (in meiner direkten Umgebung, vor Ort, nicht über Twitter) zu unterhalten und Sprachbarrieren abzubauen.
Apropos Anglizismen. Leider hat ein gutes Lokal bei mir um die Ecke bis jetzt nicht mehr aufgemacht, dafür aber die Präsenz im Bezirk Neubau verstärkt, was wir jetzt weniger liken. 😉
Das Lokal neigt zudem in letzter Zeit sehr zum Sprachmischmasch auf SM.
Social Media, was denkt ihr?
„Schnapp dir deine two best friends und kostet euch durch unsere OPENING-PARTY.“
(Vielleicht ein raffinierter Weg, dem Gendern bzw. Gegendere zu entgehen?)
Eins zwei oder drei
… letzte Chance … vorbei! Ob ihr wirklich richtig steht, seht ihr, wenn das Licht angeht.
1. Macht’s Spompanadeln! Ein schönes österreichisch-umgangssprachliches Wort, das es nur in der Mehrzahl gibt (ein Pluraletantum also) und wir dem Europameisterschaft- und Songcontest-Gewinner des Jahres verdanken. Da ich auf ihn bereits vor Austragung der Wettbewerbe gesetzt habe, verdanke ich ihm auch meine nächste Italienreise. Grazie, ragazzi. Herkunft: italienisch spampanata = Aufschneidereien.
2. Wenn ihr in Wien seid: Besucht eines der neuen Rooftop-Lokale (oh wow, ihr habt mich erwischt, ich wurde „eh auch“ sprach-gechipt, OH MY GOD, total crazy) am Prater. Die Ringelspiele oder dialektaler Drahdiwaberl von oben zu sehen hat vor allem abends viel Charme!
3. Ein Vorschlag für ein schöneres Filmerlebnis, denn das nahende Gewitter legt einen gemütlichen Filmeabend nahe: Statt mit „Bullshit“ zu synchronisieren, bin ich eindeutig für eines dieser Wörter: Mumpitz (aus dem 19. Jahrhundert, Berliner Börsenjargon), Unsinn, Humbug, Schmarr’n, Nonsens oder Blödsinn. Genauso wenig sprachlich wertvoll ist für mich der Ausdruck Shitstorm, also Scheiße-Sturm (*räusper*), der sogar in den ZIB-Nachrichten verlesen wird. Ich stelle mir dabei immer einen Volle-Windel-Tornado vor.
Das Bored-Out des gelangweilten Büromitarbeiters im Gegensatz zum Burn-Out ist eines der Trendwörter der letzten Zeit, mit dem ich mich anfreunden kann. Es ist auch schöner, Langeweile als ein Burnout zu haben.
Mit diesen Worten: Schönen Sonntagabend!
Und als Italien-Quiz für nächstes Mal:
Was versteht man unter einem mese solare (Sonnenmonat) im Gegensatz zu einem mese lunare (Mondmonat)?
Alles Liebe
Barbara