Partypreise statt Partyreise – von reizlosen Reizen im Lockdown

Partypreise statt Partyreise – von reizlosen Reizen im Lockdown

Warum sich *reiz- aktuell hervorragend zur Wortbildung eignet und was wir international essen.

Ich widme die heutige Kolumne meinem Universitätsprofessor Franz Patocka. Während des gesamten Studiums (das waren viele Jahre, war ich doch dazwischen jahrelang im Ausland und lernte alles mögliche Andere als Germanistik, wie z. B. brasilianische Samba/Axé-Choreografien und sizilianische Rezepte und Sprichwörter) besuchte ich spannende Seminare und Vorlesungen bei ihm zum Thema Sprachwissenschaft. Es ging um bairische Dialekte, also unsere, Fachsprachen der Arbeitswelt, Syntax (Satzbau) in schriftlicher und mündlicher Sprache und vieles mehr. Ich schrieb auch meine Diplomarbeit zur Wortbildung bei ihm, bei der ich endlich – spät aber doch – dank seiner strengen Verbesserung auch noch die richtige Kommasetzung, den Unterschied zwischen den Bindestrich-Längen und mehr lernte.

Zu einem Seminar zu Fachsprachen gab es in einem Semester nur zwei Anmeldungen. Prof. Patocka lachte und sagte scherzhaft, er werde eine Alternative für mehr Zulauf anbieten, könne uns aber genauso gut etwas über diese Fachsprachen im Kaffeehaus erzählen, wenn wir wollten.

Sein trockener Humor und seine sprachwissenschaftliche Arbeit haben sehr viele Studenten und auch Kollegen über Jahrzehnte beeinflusst. Er unterrichtete bis jetzt, noch im Wintersemester 2020, auch nach seiner Pensionierung weiter und es macht mich sehr traurig, dass er vor wenigen Tagen von uns gegangen ist.

Was uns momentan im alltäglichen Lockdown-Leben fehlt, sind die Reize. Unsere Umgebung (Homeoffice = Zuhause und die Parks, die wir auswendig kennen) ist reizarm geworden, fast alles erscheint reizlos. Was folglich dafür sorgt, dass wir reizbar und gereizt statt reizend sind. Neue Eindrücke kommen nur in digitaler Form zu uns, was ein Gefühl der langsamen Verblödung hervorruft. Nach dem Motto: langsam aber sicher. So legte ich mein Buch gestern weg, um stundenlang durch grüne Röhren zu klettern und feuerspeiende, fleischfressende Pflanzen und gemeine Männchen auf Wolken zu bekämpfen (Super Mario). Andere sehen stundenlang Netflix-Serien oder liegen, wie auch ich kürzlich, mit gequält-fröhlichem Gesichtsausdruck bei etwa 10 Grad, gefühlt -5 dank Wind, bibbernd in irgendwelchen Wiesen.

Auf der Facebook-Seite der Büchereien Wien gibt es heute wieder einmal einen sehr amüsanten Beitrag dazu:

„Der große Vorteil des Arbeitens ist ja, dass man in der Zeit zumindest nicht spazieren gehen muss.“

Die Bild-Zeitung berichtete vor einigen Tagen vom Ösi-Wunder, bei dem es um irgendetwas ging, das hier besser klappt. Was das Wunder genau war, weiß man schon nicht mehr, da sich zurzeit die Nachrichten täglich ändern und überschlagen. Am besten man steckt, wie Super Mario und Luigi (Ciao, bello), den Kopf in einen leeren Blumentopf.

Bis der Hunger kommt. In meinem Buch las ich von „Karbonade“, aus dem Französischen: auf Kohlen geröstetes Fleisch. Das ist gleichbedeutend mit carbonata im Italienischen, Italienische carbone, Latein(isch haha) carbo, also Kohle. Was mich an die Carbonara erinnert. Die etymologische Herkunft des Namens dieses einzigartigen Pasta-Gerichts (piatto ist sowohl der Teller, als auch Gericht) ist umstritten. Wahrscheinlich kommt er daher, weil sie die carbonai (dt. Köhler/Kohler, Kohlenbrenner) aus den Abruzzen zur Stärkung nach getaner, harter Arbeit zubereiteten. Bravi!

In Österreich und ein paar Nachbarländern ist es durchaus legitim, ein süßes, warmes Mittagessen zu genießen, wie Apfelknödel, Buchteln, Kaiserschmarrn und mehr. In Italien, Portugal, Frankreich usw. reagierten die Leute daraufhin genauso aufgeschlossen wie ich, als ich in Japan zum Frühstück im Ryokan, jap. 旅館, wortwörtlich Reisegasthaus, Suppe und rohen Fisch bekam.

Eine Mahlzeit im Ryokan, in Hakone.

Japan war sehr schön, spirituell und keine klassische Partyreise, wie damals Ios, Ibiza und manchmal auch Lissabon. In der U-Bahn-Station Schwedenplatz gab es (gibt es noch?) ein Reisebüro für Last-Minute-Reisen. Da ich immer schon ständig dort vorbeiging, war auch die Buch-Versuchung für die nächste Partyreise zu Studentenzeiten groß.

Neu ist jetzt rechts und links der Rolltreppe Richtung Eissalon etwa 83.746.364 Mal die gleiche Werbung nebeneinander. Ich las vor wenigen Tagen Partyreise (Freudscher Verleser). Wobei der Supermarkt aber leider mit Partypreisen lockte. Was für eine Party bitte? Ich möchte dann bitte lieber Ios+, das wäre dann Mykonos. Wie viele Rabattmarkerl brauche ich dafür?

Thema Reisen (die Jüngeren von euch wissen vielleicht nicht mehr, was das war): Eine Freundin von mir plant momentan einen längeren Aufenthalt in Mexiko. Das erscheint uns allen im Augenblick so in etwa wie ein Flug im Mars-Hubschrauber mit dem schönen Namen Ingenuity, der Farb-Fotos, die an bestimmte Gebiete Mexikos erinnern, schießt. BITTE LÄCHELN.

Ich bevorzuge zurzeit die Trend-Region Wagram. Die ÖBB bewirbt sie in der Bahn mit den sehr interessanten Adjektiven: abgehoben . bodenständig. (Mit Punkt in der Mitte, kreative Satzzeichenfreiheit? Soll ein Schlaf-Wagen durchpassen?) Also sowohl für Snobs, als auch für Leute auf der Suche nach nicht-japanischen traditionellen Wirtshäusern? Ist abgehoben etwas, was man möchte, fragt man sich da. Aktuell wohl ja, wir wollen abheben und am liebsten mit einem Hubschrauber auf dem Mars herumfliegen. Darauf spazieren bitte nicht.

Ja, fliegen…

Als ich vorgestern durch den Donaupark gehe (NICHT SPAZIERE), laufen zwei Kinder neben mir. Der Bub sagt: „Wir können nicht fliegen. Nur wenn wir Zauberkräfte haben, stimmt’s, Paulina?“ Und Paulina bejaht.

Ich hoffe, wir finden diese Zauberkräfte.

🍋🍃. Schöne Woche! Trotz allem.

Barbara

Er hat mich bonjourt

Er hat mich bonjourt

Die sprachliche Reise zum südlichen Orakel und sprachliche Verwicklungen

Die Verwandtschaft kann man sich, wie wir wissen, nicht aussuchen. Doch wie auch immer sie sein möge, die sprachliche Verwandtschaft ist freundlich und großzügig. Und deshalb widme ich ihr gerne meinen Blog. Sie bietet beispielsweise eine Vielzahl an köstlichen Gerichten: von Kukuruz und Palatschinken über Spaghetti und Powidltascherl bis hin zu Melanzani vs. Aubergine (wir sind hier die Melanzani-Fraktion), Haschee-Hörnchen und Püree.

Wer bis jetzt keinen Hunger bekommen hat, dem ist auch nicht mehr zu helfen.

Ich habe mich also zum südlichen Orakel begeben. Die schlechte Nachricht vorweg: Es sprach nur Französisch und es konnte mir keine Auskunft zum Ende der Coronakrise geben.

Allerdings erquickten mich französische Strandgespräche. Mutter zu Teenie-Tochter am Zuckerhutstrand in Les Saintes: „Willst du Champagner?“ Teenie-Tochter reagiert mau, Mutter legt sich ins Zeug: „Wir haben einen guten gekühlten Rosé.“ Die Teenager-Tochter ist nicht wirklich überzeugt und lehnt gelangweilt ab.

Typisch Französisch und nicht wirklich unserer Realität.

Man stelle sich nun das Gespräch in einem Wiener Freibad vor. „Sabrina, willst a Cappy? Ist fast noch kalt.“ – „Naa …“ – „Vorn beim Wellenbecken kannst dir ein Wasser nachfüllen.“

Beim Strandurlauben bietet sich natürlich Urlaubslektüre an. Ich konnte es diesmal sogar mit einem französischen Buch aufnehmen, in dem ich einen sehr lustigen Ausdruck fand: „(…) et avait regardé travers le judas.“ Und sie hatte durch den Spion (wir nennen ihn Judas?) durchgesehen. Im Buch ließ sich auch ein lustiger Germanismus finden, den ich bis zum nächsten Mal schuldig bleibe.

An den Abenden sah ich die letzte Staffel Modern Family und Jay Pritchett beruhigte: „I’m not gonna do a big … (Pause) spiel.“ Netterweise sogar mit deutscher (sch-)Aussprache. Ihr werdet mir fehlen.

Während in der französischsprachigen Karibik kaum Corona-Regeln zu beachten waren, erließen zur gleichen Zeit die Italiener eine kreative neue: „Man darf einmal pro Tag zu zweit im Auto einen Verwandten besuchen.“ Wie dieses Einmal-Täglich zu überprüfen ist, bleibt eins der vielen Corona-Rätsel, die in die Geschichte eingehen werden.

Genauso auch, wie man sich in normalen Städten mit einem 2-Meter=1-Faßmann-Abstand zu anderen Bürgern bewegt. Ich habe Ski beim Hervis geklickt und kollektet, bin danach mit öffentlichen Verkehrsmitteln heimgefahren und die fast 2-Meter-Ski dienten theoretisch vorzüglich dazu, sie waagrecht um mich zu drehen, um mir meinen Zwei-Meter-Abstand zu sichern.

Doch es gibt nicht nur Verschärfungen. Wir haben (vor allem für die kulturhungrigen Corona-Demonstranten am Ring, die endlich wieder in die Bibliothek wollen) auch gute Neuigkeiten. Die Museen sperren wieder auf. Und es wird, worauf mich eine Freundin gestern hinwies, glücklicherweise eine Ausstellung zu – ja jetzt ratet mal was? – geben.

Nein. Doch!

Corona!

Wundervoll. Wir gehen also aus dem Lockdown und stundenlangen Impf- und Testdiskussionen ins Museum, um uns eine Ausstellung über den/das/die Coronavirus anzusehen.

Ich bleibe da doch lieber subkulturell bei ATV, in dem bei Teenager werden Mütter (trinken dafür aber keinen Champagner mit den Eltern) von einem der Protagonisten Kevin (mit einer Ex namens Jessica) der schöne Satz fiel: „I hob‘ a neiche Freindin kennenglernt.“

Das ist sehr praktisch, wer würde nicht gerne ihren/seinen neuen Beziehungspartner kennenlernen? Man erspart sich sämtliche Kennenlern-Rituale und das Zusammenkommen und trifft unvermittelt auf bestehende Partner. Fast wie bei arrangierten Ehen, nur noch besser.

Als ich auf der Suche nach Wasser beim Abgang zum besagten Zuckerhut-Strand war, begrüßte mich ein gutaussehender Franzose (der sich nicht als mein Lebensgefährte-im-selben-Haushalt entpuppte), woraufhin ich erzählte: „Er hat mich bonjourt“. Ist völlig harmlos, klingt – wie alles Französische – irgendwie verwerflich!

Apropos Serien- und Filmkultur und ihre Germanismen: Im Horrorfilm Wir spielen Scheren eine Rolle. Und es wird gesagt: the shear of the scissors … (Gemeint waren die Schneiden) Klingt fast Wienerisch, Volksschule Schwarzingergasse in den wilden 90ern: „Gib ma de Schear!“ Mindestens genauso zum Fürchten.

Mit diesen Worten wünsche ich einen schönen Sonntag.

Ich danke für unsere (virtuellen und realen) Gespräche und Treffen, die auf-lock-ern, und bin auf künftige Corona-Rätsel gespannt.

Barbara

Alte Wörter im neuen Jahr

Alte Wörter im neuen Jahr

Die Wiener Alltagssprache ist allzeit bereit.

Das neue Jahr hat viel Bewegung gebracht. Vor allem in Form von gehatschten Kilometern durch Wien. Vom neunten in den dritten Bezirk, vom neunten in den sechsten, zweiten, ersten, wieder ersten. In Außenbezirke (Stichwort Park) und zur Donau mit den Wiener Linien (so weit kommt’s noch, dass ich auch dort zu Fuß hingehe). All das, obwohl ich eigentlich nicht gern spazieren gehe. „Vorteil“: Ich lerne Wien besser kennen.

Ist der Weg lang und mühsam, spricht der Wiener von einem Hatscher, ist etwas unordentlich erledigt, ist es auch hatschert. Hatschert, wie die Diplomarbeit (und auch Doktorarbeit) einer gewissen Politikerin zum Beispiel. Vorgeworfen werden „Plagiate, falsche Zitate und mangelnde Deutschkenntnisse“, mit Plagiaten und schlechten Zitaten könnte ich leben, bei mangelnden Deutschkenntnissen in Publikationen hört sich allerdings der Spaß auf. Zwinker.

Zum Thema hatschen: Ein Klassiker jener Filme, die man zur Weihnachtszeit sieht, ist Die unendliche Geschichte. Hier beantwortet die weise alte Morna, der berechtigterweise prinzipiell alles egal ist, Atreju, wo er Auskunft bekommen kann: beim südlichen Orakel. Auch wir können zu Covid-Vorhersagen in Wahrheit nur das südliche Orakel fragen, niemand anders kann es genau sagen (außer Kurz und Frau Gerda Rogers). Das Problem des südlichen Orakels: Es ist 10.000 Meilen weit weg.

Also wieder hatschen. Nett wäre es aber stattdessen auch zu tanzen, zu sitzen (gemeint sind keine Betonstiegen bei -4 Grad) und fortzugehen. Schade: Momentan gibt es kaum Gelegenheit, sich aufzutakeln. Das bedeutet: geschminkt und hergerichtet unter die Leute gehen. Meistens ist es eher abwertend gemeint und auf Frauen bezogen, natürlich. (Wie übrigens auch ein Großteil der „trendigen“ Schimpfwörter, die sich an Männer richten.) Das Wort auftakeln stammt übrigens aus der Seemannssprache und bedeutet irgendetwas im Zusammenhang mit Segeln (unwichtig, da ich bereits auf einer Luftmatratze seekrank werde).

Da kommt uns ein weiteres Dialekt-Wort in den Sinn: betakeln. Was so viel bedeutet wie jemanden (um Geld) betrügen. Vielleicht steht das auch mit dem Schiffssegel irgendwie in Verbindung, das die Sicht auf die Wahrheit verhüllt.

Oh, chique würde manche ein Portugiese zu einer Segeljacht sagen.

(Jacht sieht direkt falsch aus, weil wir so oft die englische Schreibweise Yacht lesen und sie mittlerweile offiziell sogar auch schon im Deutschen richtig ist.)

Und bei chique denken alle sofort an Paris, Frankreisch und den französischen Lebensstil. Was auch sehr gut passt, keine Frage. Aber – das würde Franzosen gewiss nicht gefallen – wer hat’s erfunden?
Die Deutschsprachigen. Es kommt nämlich vom viel älteren Wort „schicklich“, was bedeutet: etwas gehört sich, etwas „schickt“ sich (nicht).

Schwacher Trost für die Franzosen: Dafür haben wir unseren Schackl (i bin ja net dei Schackl! = Diener) vom französischen Jacques.

Ich warte also auf den Glücksdrachen Fuchur, der mich zum südlichen Orakel fliegt und wünsche für das neue Jahr, dass wir uns alle bald wieder auftakeln, uns nicht betakeln lassen, mehr tanzen statt hatschen und uns mehr Gedanken über das persönliche Glück und das der Nächsten als darüber, was sich (nicht) schickt, zu machen.

B.

PS: Die Wörter des Jahres lauten im Hebräischen übrigens Wattestäbchen, Maske und Quarantäne. Kaum verwunderlich, wobei das Wattestäbchen bei uns noch keinen so prominenten Platz hat. „Das ist alles so 2020,“ könnte man jetzt lästern.

Was wir lieber lesen, sind die lustigsten Wörter des Jahres auf Hebräisch: pupik (Bauchnabel), spannenderweise auch pupak auf Serbisch, wie ich soeben erfahren habe, und gumatz (Kniekehle). Lustige Körperteile mit lustigen Namen. Auf einen guten Platz hat es auch chamamoret geschafft. Der Kater. Nicht der, der miaut (das wäre chatul), sondern der des nächsten Tages. Momentan hat man auch das Gefühl, als wäre Januar 2021 der Kater von 2020. Hoffentlich dauert er nicht mehr sehr lange und wir können bald wieder lustige Wörter des Jahres wählen und denken.